Bidarkundi, Karnataka, Hindistan
Meinung: Lange war da nur Skepsis gegenüber „Wenn ich bleibe“ von Gayle Forman. Die guten Rezensionen machten mich zwar neugierig, doch bevor das Buch in aller Munde umging, hatte ich bereits einen Blick hinein gewagt und erkannt, dass mir der Stil nur wenig zusagte. Dennoch wollte ich es jetzt mal probieren – und habe es definitiv nicht bereut. Schon auf dem Klappentext wird dem Leser verraten, dass Mia einen schweren Autounfall erlebt, bei der sie ihre Familie verliert. Ihr Körper hingegen ringt mit dem Tod, während Mias Geist sich daneben bewegt und die Reaktionen ihrer geliebten Menschen miterlebt. Auf der anderen Seite durchfluten sie Erinnerungen und sie erkennt, dass sie sich entscheiden muss: Zwischen dem Leben und dem Tod, dem Gehen und dem Bleiben. Die komplette Geschichte spielt sich innerhalb von 24 Stunden ab, wobei es häufig Exkursionen in Mias Vergangenheit gibt. Unter Umständen könnte dieses Hin und Her langweilig und störend wirken, doch Gayle Forman hat hier ganze Arbeit geleistet. Die Geschichte ist wirklich gut strukturiert. Man lernt nicht nur Mia durch die Erinnerungen viel besser kennen, sondern auch ihre Familie, ihren Freund und ihre beste Freundin. Schon nach wenigen Seiten fühlte ich mich durch diese vielen Einblicke wie ein Akteur der Geschichte, was nicht zuletzt an den Kleinigkeiten und Details liegt, auf die Gayle Forman in ihrer Geschichte geachtet hat. Kleine Gesten oder Macken der Charaktere oder zunächst unscheinbare Gedanken von Mia ergänzten das Bild in meinem Kopf und hauchten ihm so Leben ein. Normalerweise mag ich es nicht so gern, wenn Charaktere nur liebenswürdig sind und keine unsympathischeren Figuren auftreten. In „Wenn ich bleibe“ war genau das der Fall, doch hier störte es mich nicht sehr. Die Charaktere wirken größtenteils trotzdem sehr echt und lebendig. Ich kann gar nicht genau sagen, wen von ihnen ich am meisten mochte, denn es waren so viele tolle Gestalten mit dabei: Mias kleiner, quietschiger Bruder; ihre Eltern, die früher mal Punks waren; ihr verschwiegener Großvater; die plappernde Großmutter, usw. Allesamt bewegten sie sich perfekt gezeichnet in meinem Kopf herum und ließen mich an Mias wuseligem Leben teilhaben. Sehr schön fand ich dabei auch die allgegenwärtige Verbindung zur Musik, wenn nicht sogar die Verbindung der Charaktere durch die Musik. Mit den emotionalen Themen des Buchs ergab das in meinen Augen eine sehr gute Kombination. Meine größte Sorge, der Schreibstil, stellte sich im Endeffekt gar nicht als so schlimm heraus. Es muss wohl eine Laune gewesen sein, die mich damals davon abhielt „Wenn ich bleibe“ zu lesen. Gayle Formans Ausdrucksweise ist zwar keine Meisterleistung, denn die Sätze sind weitestgehend einfach konstruiert, doch man kommt leicht in einen Lesefluss. Wenig Umgangssprache wird benutzt, was dazu führt, das der Stil gut zur Ich-Erzählerin Mia passt. Durch die klaren, einfachen Worte lassen sich, meiner Meinung nach, auch Mias beschriebene Gefühle und Gedankengänge viel besser verstehen. Einzig allein den Zwiespalt, um den es in diesem Buch geht, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Es ergriff mich Trauer ob der Vorkommnisse in diesem Buch. Mias Verluste sind wirklich schrecklich mit anzusehen, gerade weil man parallel dazu die Familie erst kennen lernt. Dennoch sprüht der Roman so voller Lebenskraft und Lebensfreude, dass mich Mias Zwiespalt – bleiben oder gehen – nicht ganz berühren konnte. Das Buch ist zweifellos sehr emotional und dass ein derartiger Verlust einen Menschen brechen kann, ist mir auch klar. Doch die Frage, die sich Mia stellen muss, geht in meinen Augen nicht ganz mit der restlichen Stimmung des Buchs einher. Nichtsdestotrotz konnte ich nicht anders, als das Buch zu verschlingen, und die restlichen Aspekte des Romans zu genießen. Der zweite Band „Lovesong“ steht deshalb auch schon sehr weit oben auf meiner Wunschliste. Fazit: „Wenn ich bleibe“ ist ein berührender Roman, der voller verschiedener Emotionen ist. Lebhafte Charaktere und ein angenehmer Schreibstil machen das Buch zu einem schönen Schmöker, den ich allen empfehle, die ruhige, nachdenkliche oder aber auch musikbezogene Romane mögen.
2022-09-03 17:01